Eine Bibliothek in St. Godehard

 

Die Gründung des Klosters St. Godehard 1133 ist eng verbunden mit der kurz zuvor erfolgten Kanonisation (Heiligsprechung) des Bischofs. Beides geht maßgeblich auf das jahrelange Engagement Bischof Bernhards von Hildesheim (1130–1153) zurück. Bereits 1136 zogen die ersten Mönche ein, während die Bauzeit der gesamten Anlage etwa vierzig Jahre dauerte.

Die Bischöfe Godehard und Bernhard; Ölgemälde aus der Mitte des 17. Jahrhundert; Standort: Bibliotheksraum St. Godehard

Die Geschichte des Kloster bis zum Spätmittelalter

Der Konvent betete und arbeitete, wie es die Benediktsregel festlegte; die Pflege der Memoria des Patrons spielte dabei eine zentrale Rolle. Darüber hinaus waren die Brüder verpflichtet, des Klostergründers Bernhard zu gedenken, zumal dieser seine Grablege in ihrer Mitte bestimmt hatte.

Dahinter stand die Vorstellung, dass die Mönche ihre monastische Gemeinschaft vor allem Bernhard verdankten, da diese Lebensweise jedem von ihnen beste Chancen eröffnete, sich einen Platz im Himmel zu erarbeiten. Für diese Gabe schuldete der Konvent seinem Gründer gleichsam eine Gegenleistung, die er seinerseits als Gebetshilfe für dessen Seelenheil erbrachte.

Die grundlegende Voraussetzung für ordnungsgemäße, gottgefällige und damit effiziente Gebetsleistungen war das Wissen um Gottes Willen, um die passenden Fürbitten zu erbringen. Dieses war in der kirchlichen Überlieferung, sprich: der Bibel, ihren Auslegungen durch die kirchliche Gelehrsamkeit sowie in den liturgischen Texten verankert.

Daher brauchten die Mönche eine jahrelange Ausbildung in der Klosterschule, die dieses Wissen durch kompetente Lehrer und eine gut sortierte Bibliothek vermittelten.

Gerade die Benediktiner widmeten sich – getreu ihres Ordenscredos: ora et labora et lege (bete und arbeite und lese) – intensiv der persönlichen Bildung und mit den Klosterschulen auch der voraussetzenden Qualifikation.

Schon die ersten Äbte, Abt Friedrich (gest. 1153) und Abt Arnold (1153–1181), sorgten sich nicht nur um die wirtschaftlichen Grundlagen des Klosters. Sondern sie kümmerten sich ebenso intensiv um die Bibliothek und vermehrten deren Bestand, wobei das Kloster vom 12. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts eine erste Blütephase erlebte.

Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts verblasste die erste Hochphase jedoch langsam. Die klösterliche Struktur erodierte aufgrund verschiedener und sich überlagernder Entwicklungen.

Helmlechner, Hildesheim Basilika St. Godehard 2012 02, Ausschnitt, CC BY-SA 3.0

Eine neuerliche Blütephase des Klosters stellte sich erst ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein, als Lippold von Stemmen im Jahr 1466 zum Abt gewählt wurde. Jener hatte zuvor bereits erfolgreich das Kloster Huysburg reformiert. Unter seiner Leitung schloss sich das Kloster bald der Bursfelder Kongregation an, einer Vereinigung von insgesamt 75 Benediktinerklostern, die zur strengen Beobachtung wie Durchsetzung der Benediktinerregel in den Klöstern gegründet wurde.

Mit dieser Reform, die insgesamt im Kontext der Devotio moderna zu sehen ist, wurde ein Neuanfang in der Geschichte des Godehardiklosters markiert, die einige Veränderungen hervorriefen: Das Verbot von Privatbesitz der Mönche wurde beispielsweise wiederhergestellt.

Es kam zudem zu kleineren Um- und Neubauten am Klosterkomplex. Die Klosterbibliothek wurde in ihrem Bestand stark erweitert sowie in ihrer heutigen baulichen Form fertiggestellt und sich eine vergleichbare Ausstattung mit einem aufgemalten Wandkatalog nirgends erhalten zu haben scheint, sodass das Kloster, das in seinen Proportionen zu den bedeutendsten Zeugnissen romanischer Baukunst in Deutschland gehört, und die spätmittelalterliche Bibliothek ein unvergleichliches Ensemble bilden.

Bibliotheksraum St. Godehard (Blickrichtung Norden)

Schwere Zeiten

Das Godehardikloster, die Reformation und der Dreißigjährige Krieg

Die Reformation verursachte in der Stadt Hildesheim einige Turbulenzen. Denn die Bürgergemeinde der Stadt entschloss sich 1542, wie die großen Nachbarstädte auch, künftig der lutherischen Lehre zu folgen. Die Stadt blieb allerdings nach wie vor der Sitz der administrativen Spitzen des Fürstbistums, die weiterhin Rom folgten, sodass fortan beide Konfessionskirchen innerhalb der Mauern wirkmächtig wurden.

Insgesamt gesehen überstand das Godehardikloster die Umbrüche der Reformationszeit aber nahezu unbeschadet, auch wenn es der Bürgergemeinde kurzzeitig gelang, die Ausübung des katholischen Gottesdienstes zu unterbinden. Gleichwohl kam es bis in das 18. Jahrhundert hinein immer wieder zu kleineren und größeren Zusammenstößen von Katholiken und Lutheranern, wobei die Konflikte teils gewaltsam, aber publizistisch ausgetragen wurden.

Matthäus Merian artist QS:P170,Q57968, Hildesheim (Merian), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Weitaus verheerender waren jedoch die Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648). Im Zuge von Kampfhandlungen wurden Teile der Klosteranlage wie der gesamten Stadt zerstört und mit der protestantischen Besetzung mussten die Mönche 1634 sogar zeitweise das Kloster verlassen. Zuvor konnten zwar Teile des Inventars in Sicherheit gebracht werden. Allerdings wurden zahlreiche zurückgelassene Objekte und die Bibliothek während der Besatzungszeit geplündert.

Bis 1655 konnten die baulichen Kriegsschäden aber wieder behoben werden. Das Kloster erfuhr insgesamt einen neuerlichen Aufschwung und auch die Bibliothek wurde unter Abt Jakob Rust (1662–1679) vergrößert. Im 18. Jahrhundert konnte der Konvent gar von 20 auf 30 Personen erhöht werden und erst die Folgen der Französischen Revolution und das Wirken Napoleon Bonapartes zu neuerlichen einschneidenden Veränderungen führte.

 

 

 

Als ein beeindruckendes Zeugnis für die nach der Reformation hinzugekommenen Bücher ist Konrad Gesners (1516–1565) Thierbuch von 1563 anzuführen, das zugleich ein weiteres wichtiges Zeugnis der Vielfalt des Bibliotheksbestands von St. Godehard ist, wobei unklar bleibt, wann das Werk in die Bibliothek gelangte.

 

Ende und Neuanfang

Die Säkularisation und die Umwandlung des Godehardiklosters zur Pfarrkirche

Die napoleonischen Kriege, die letztlich auch zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation führten, bedingten zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewaltige territoriale wie administrative Umbrüche und die geistlichen Territorien und Besitzungen wurden sukzessive säkularisiert. Auch das Godehardikloster wurde 1803 aufgelöst und in eine Pfarrkirche umgewandelt, die sie, abgesehen von einer kurzen Zwischenphase von 1812–1816, bis heute geblieben ist.

Zwar wurden schon vor der Auflösung des Klosters einige bedeutende Bibliotheksbestände am Ende des 18. Jahrhunderts unter zweifelhaften Umständen verkauft, jedoch führte die Säkularisation zu substanziellen Umbrüchen und nicht im Detail zu klären ist, was mit der Bibliothek bzw. den einzelnen Büchern passierte. Teilweise nahmen wahrscheinlich die Konventuale Bestände der historisch gewachsenen Bibliothek mit an ihre neuen Wirkungsstätten. Ein größerer Teil verblieb aber in St. Godehard und wurde so zum Grundstock der neuen Pfarrbibliothek, die mit ihren neu hinzugekommenen Beständen vor allem die Alltagsherausforderungen und seelsorgerischen Erfordernisse des 19. Jahrhunderts widerspiegelt.

Gleichwohl haben immer wieder Bücher, die aus dem eigentlichen Sammlungsschwerpunkt herausstechen über Umwege Eingang in die Bibliothek gefunden, wie zwei zusammengebundene Lesefibeln, die im ausgehenden 17. Jahrhundert gedruckt wurden.

 

 

Das hier vorgestellte ABC-Buch besteht eigentlich aus zwei zusammengebundenen Büchern, die beide im späten 17. Jahrhundert gedruckt wurden.

Wie ein Besitzstempel im Inneren des Buches zeigt, wurde das Exemplar zwischen 1827 und 1908 Eigentum der Pfarrbibliothek St. Godehard.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelangte schließlich ein Großteil der Bibliothek St. Godehards in die Dombibliothek. Von den bedeutenden mittelalterlichen Handschriften und Frühdrucken der Godehardibibliothek befinden sich heute noch 52 Inkunabeln sowie 20 Handschriften in Hildesheim, die in der Dombibliothek, in der Stadtbibliothek, sowie im Roemer-Pelizeus-Museum aufbewahrt werden; 30 Inkunabeln und einige Handschriften befinden sich im englischen Benediktinerkloster Ampleforth und einige wenige Exemplare in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.